"Die Natur ist ein Faktor, der für Ruhe und Vertrauen sorgt"

Golf ist ein Spiel in der Natur – welche positiven Konsequenzen hat dies für die mentale Gesundheit der Spieler? Ein Interview mit Prof. Dr. Jürgen Beckmann.

Prof. Dr. Jürgen Beckmann, Professor für Sportpsychologie an der Technischen Universität München, setzt sich seit Jahren mit dem Thema Psychologie im Golfsport auseinander. Er war u.a. langjähriger Sportpsychologe der deutschen Golfnationalmannschaft (Jungen/Herren) und ist Mitglied im sportwissenschaftlichen Beirat des deutschen Golfverbandes. Im Rahmen seiner Forschungstätigkeit hat er sich wiederholt auch mit den Zusammenhängen des Faktors Natur und der Gesundheit eines Menschen auseinandergesetzt. Eine Thematik, die für den Golfsport von besonderer Bedeutung ist, da eine Golfrunde geprägt ist von der natürlichen Gestaltung des Platzes.

Spielt es eine Rolle, wie die Natur auf dem Golfplatz genau aussieht? Haben Berge einen anderen Einfluss als ein Parklandgelände?

Beckmann: Die natürliche Umgebung, die wir in unserer Kindheit kennengelernt haben, liefert zunächst ein Grundmuster für Natur, die wir als angenehm empfinden. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass gleichmäßige, sich wiederholende und damit vorhersagbare Muster beruhigend wirken. Solche Fraktale finden wir auch in der Natur. Naturmuster sind in der Regel symmetrisch, ein Baum ist dafür ein gutes Beispiel. Damit ist unsere Umgebung vorhersagbar. Im Gegensatz dazu stehen impertinente Reize – das sind Reize, die von unserem erwarteten Muster der Situation abweichen und uns dadurch aufschrecken. Das finden wir in der Regel in der normalen Natur auf dem Golfplatz nicht. Ausnahme wäre ein Raubtier, das in der Natur auftaucht. Zum Beispiel ein Alligator auf einem Golfplatz in Florida.

Kann man den Einfluss von Natur am Menschen überhaupt messen?

Beckmann: Ja, in unterschiedlichster Form. Die Fraktalstruktur der Natur kann zum Beispiel ermittelt werden. Ein Kollege von mir an der Universität in Nottingham macht das. Daraus kann man dann schließen, welchen Grad an Beruhigung die Natur bewirkt.

Was passiert, wenn beim Menschen eine Klippe oder ein gefährliches Tier ins Blickfeld rückt?

Beckmann: Wesentlich für Menschen ist das Gefühl Kontrolle zu haben. Wenn ich meinen Ball hinter einem Busch suchen würde, der an einem Abhang steht, wird es bedrohlich. Das sorgt für Anspannung. Wir wollen stattdessen natürlich die Natur als Faktor, der für Ruhe und Vertrauen sorgt.

 

Inwieweit kann man den Faktor Natur auf einer Golfrunde als therapeutisch betrachten? Ist die heilende Wirkung von Natur auf die Psyche des Menschen belegt?

Beckmann: Dafür gibt es inzwischen zahlreiche Belege. Darüber hinaus hat eine Forschungsgruppe in Kalifornien untersucht auf welche Weise sich Natur auf die Psyche des Menschen auswirkt, wie Natur eigentlich die beruhigenden Effekte erzeugt, die wir registrieren. Und das ist auch für uns im Golf sehr wichtig. Natur kann vermittelt ein sogenannte Ehrfurchtserleben (awe experience). Dieses steht für Staunen, das einen erleben lässt, Teil eines viel größeren Ganzen zu sein. Die Forschungsgruppe hat herausgefunden, dass bei Begegnungen in einem natürlichen Umfeld häufiger das Hormon Oxytocin ausgestoßen wird. Dieses Hormon erhöht das Vertrauen und fördert prosoziales Verhalten. Andere Forschungsgruppen haben verschiedene andere Faktoren untersucht. Fundierte Belege für eine alleinige heilende Wirkung von Natur, wie zum Beispiel beim sogenannten Waldbaden, gibt es aber noch nicht.

Reagiert ein Spitzensportler überhaupt noch auf den Naturfaktor, wenn er ein Turnier spielt?

Beckmann: Das ist sehr unterschiedlich. Aber grundsätzlich nützen wir in der Psychologie die Natur auch bei der Arbeit mit Spitzensportlern, um gewisse Regulationsseffekte zu erreichen. Also zum Beispiel um nach einem Fehlschlag in eine abgeklärte Haltung zurückzukommen, wenn ich mich zu sehr aufgeregt habe.
Dabei nutzt man, was in der Forschung als Attention Restoration Effect der Natur bezeichnet wird. Wenn ich in die Natur schaue, kann ich Aufmerksamkeit, zum Beispiel nach einem Fehlschlag, regenerieren und dadurch Konzentrationsressourcen mobilisieren. Das wird auch durch die Gehirnforschung bestätigt, die zeigt, dass sich dann im frontalen Kortex, also im vorderen Bereich des Gehirns, wieder mehr Kontrolle aufbaut.

Wie sieht das konkret auf dem Platz aus?

Beckmann: Ich wende mich ab von meinem ersten Abschlag, wenn ich extrem nervös bin und den Blick in die Ferne, in die Natur, auf einen Baum richte und mich gleichzeitig auf meine Ausatmung konzentriere. So kann ich den Kopf durchaus wieder frei bekommen. Dann kann ich mich abschließend konzentrierter meinem Abschlag zuwenden.

Was raten Sie einem älteren Golfer, der ständig an den Teichen auf seinem Platz verzweifelt?

Beckmann: Erwachsene können die positiven Effekte der Natur nicht mitnehmen, wenn sie nicht gelernt haben, darauf zu achten. Wer sich beim Golfspiel nur mit seinem Schlag befasst, hat wenig Chancen von der Natur zu profitieren. Wenn ich einen schönen Teich nicht als Landschaftselement betrachte, sondern als Bedrohung für mein sportliches Ziel, dann ist das ein Problem. Wichtig wäre hier den sportlichen Anreiz zu sehen, der durch natürlich Hindernisse vermittelt wird. Darin steckt sehr viel Potential, aber leider sehen die meisten Golfer es eben eher als Bedrohung anstatt als Herausforderung. Sicherlich ist das auch eine Aufgabe, den Golfern zu vermitteln, wie sehr sie von einer bewussten Einbeziehung der Natur profitieren können, nämlich entspannter zu werden, mehr Freude zu erleben und dadurch durchaus auch zu mehr Konzentration kommen können.

Wie bauen Sie das Erlebnis Natur konkret in das Mentaltraining mit ein?

Kein Golfer kann sich 4,5 Stunden voll konzentrieren. Um ein Wechselspiel von Konzentration und Entspannung zur Regeneration von Konzentration zu erreichen, habe ich eine sogenannte In-Between-Shot-Routine formuliert, bei der die Einbeziehung der Natur wichtiger Bestandteil sein kann. Wenn ein Golfer nach einem 300 Meter-Abschlag auf dem Weg zum Ball die ganze Zeit überlegt, wie er schlagen soll und versucht die Konzentration hoch zu halten, ist das nicht funktional. Stattdessen sollte man auf Attention Restoration setzen. Bei Nationalspielern haben wir das im Training zum Beispiel so umgesetzt, dass sich zwischen den Schlägen die Gedanken auf andere Dinge richten als den unmittelbaren Wettkampf. Von ganz allein kamen hier die meisten auf die Beachtung von Naturelementen: Einige haben auf Vögel geachtet, die auf dem Platz zu sehen waren, andere auf Pflanzen. Erst kurz vor dem Erreichen des Balles wurde wieder auf den Schlag umgeschaltet. Diese Form der Selbstregulation mit Hilfe der Natur könnte auch jeder Normalgolfer während einer Golfrunde umsetzen. Zudem wäre es schade, wenn die schöne natürliche Umgebung, die Golfplätze bieten, keine Beachtung fände.

Unser Leben wird – auch auf dem Golfplatz – von Smartphones begleitet. Müssen wir die Nutzung der Natur wieder lernen?

Beckmann: Schon Jean Jacques Rousseau hat im 18. Jahrhundert die These „Zurück zur Natur“ formuliert und genau diesen erzieherischen Effekt der Natur gesehen. Er wollte, dass Kinder mehr auf dem Land aufwachsen, weil sie dort die Chance haben, in der Natur und von der Natur zu lernen. In einer Studie, die vor einigen Jahren veröffentlicht wurde, wurden Menschen, die mit Indoor- und mit Outdoorsport aufgewachsen sind, verglichen. Ergebnis war, dass die Menschen, die schon in jungen Jahren mit Outdoorsport aufwuchsen, eine ganz andere Beziehung zur Natur hatten und diese auch vielmehr schätzten. Die Menschen müssen also in der Lage sein, diese Reize wirklich wahrzunehmen. Für den Golfsport bedeutet das vielleicht auch, dass wir beim Kindertraining mehr Wert darauf legen, dass die Natur als Teil des Spiels miteinbezogen wird.

 

Interview: Petra Himmel

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